Shuar und Schule (Teil 1)

Im folgenden, schon lange angekündigtem Blogeintrag, soll es um die Geschichte der Bildung der Shuar gehen, wie der Titel schon verrät. Die Shuar sind, für den noch nicht im Bilde stehenden Leser, eine der indigenen Gruppen Ecuadors. Schätzungsweise 60.000 Shuar leben im Amazonastiefland östlich der Anden in Ecuador. Jedoch varriieren die Schätzungen der Bevölkerung der Shuar zwischen 40.000 und 110.000. Generell ist es kompliziert über die Geschichte einer Nationalität zu schreiben, die die Shuar per Definition in Ecuador darstellen, da wenige Aufzeichnungen verfügbar sind. Zum einen besteht diese Problematik, zum anderen läuft man bei Berichten dieser Art schnell Gefahr zu verallgemeinern und somit großen Teilen der Shuar Unrecht zu tun. Doch will ich einen Anfang wagen und über die Vergangenheit schreiben, ja über eine entscheidene Wendung im Leben der Shuar. Es soll um die Ankunft der Missionare und damit den Beginn der schulischen Bildung für Angehörige der Shuar Volksgruppe gehen.

Zu verdanken habe ich die folgenden Informationen dem Schulleiter meiner staatlichen Schule, Markus Argina, der mir viele Minuten seiner begrenzten Zeit für ein Interview opferte. Des weiteren gilt zu beachten, dass sich der folgende Bericht ausschließlich auf die Shuar bezieht, die im Umkreis von Macuma wohnen (das größte Wohnzentrum der Shuar im Umkreis, ca. 3 Stunden von der nächstgrößeren Stadt entfernt. Hier unterrichte ich in der UECIBAS, doch dazu später mehr.).

Während schulische Bildung in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem ganzen Volk (mehr oder weniger) zugänglich gemacht wurde, hielt schulische Bildung in Macuma erst mehr als 100 Jahre später ihren Einzug. Was zu seiner Zeit in Deutschland hochgeachtete Persönlichkeiten wie Wilhelm von Humboldt unter dem Namen der Elementarschule einführten, brachten amerikanische Missionare evangelischen Glaubens in das damals noch weit abgelegene Dschungelgebiet. Tatsächlich wurde Bildung, die natürlich nicht immer nur schulischer Natur sein muss , bis ca. 1950 innerhalb der Familie vermittelt. Lesen und Schreiben wurden bis dato nicht benötigt, das Leben fand im Einklang mit der Natur statt. Heutzutage würde man jene Dschungelbevölkerung als analphabetisch bezeichnen. In der Tat musste auch kein Ackerbau betrieben werden: Im Regenwald wurde gejagt, in den umliegenden Flüssen gefischt, geerntet, was die Bäume gaben und mit denen regelmäßig Krieg geführt, die sich Achuar nannten/ nennen (eine andere indigene Gruppe Ecuadors, deren Territorium an das der Shuar angrenzt).

Doch in den bereits erwähnten 50er Jahren erreichten amerikanische Missionare evangelischen Glaubens die Dschungelgemeinschaften. Wie es in der Natur des Missionardaseins liegt, wollten jene das "Wort Gottes" an die Shuar bringen. Wohlgemerkt nicht der erste Missionierungsversuch. Während der Entdeckung Amerikas, die 1492 mit der Ankunft Kolumbuses begann, schlug die (zwangs-)Missionierung der Shuar fehl, weßhalb die spanische Sprache auch erst vergleichsweise spät zu den Shuar kam. Generell halte ich die Formulierung "Entdeckung Amerikas" in Anbetracht der bereits existierenden Hochkulturen für fehlleitend und fragwürdig, das aber nur am Rande. Jedenfalls wurde es von den Missionaren als notwendig angesehen die Shuar zu alphabetisieren, wodurch auch die spanische Sprache verbreiteter wurde. Schulen sollten erbaut werden, eine Straße zur nächstgrößeren Stadt führend gab es wohlgemerkt nicht. Der Bau einer solchen wurde vor ca. 20 Jahren begonnen, Macuma erreichte dieses jedoch auch erst vor drei Jahren.

Im Zuge der erforderlichen Bauarbeiten um die Schule zu errichten, heuerten die amerikanischen Missionare Arbeiter aus den hispanisch geprägten Städten nach Macuma an, die nach dem Kennenlernen der vor Ort lebenden Shuar erste Unterrichtsstunden erteilten. Nach Abschluss der Bauarbeiten entstanden zwei geschlechter-getrennte Schulen. Für Mädchen wurde die "Escuela Guayaquil" (benannt nach der größten ecuadorianischen Stadt) errichtet und für die Jungen die Schule "Presidente Alfaro" (benannt nach einem liberalen Presidenten Ecuadors, der 1912 von politischen Gegnern ermordet wurde).

Später vereinigten sich die beiden Schulen, es blieb der Name "Presidente Alfaro". Trotz der steigenden Alphabetisierungsrate, wurde keine "höhere" Bildung nach europäischer Vorstellung angeboten. Um Zugang zu jener höheren schulischen Bildung zu erhalten, machten sich einige Indigene auf den Weg nach Macas - zu Fuß. Mehrere Tagesmärsche, die die Reisenden Berge überqueren ließen mussten die Lernbegierigen auf sich nehmen, eher keine idyllische Wanderung.

Um jenen beschwerlichen Weg, der zu schulischer Bildung führen sollte zu erleichtern, wurde am 11. November 1982 das "Colegio Antonio Samaniego" gegründet. Die "Educacion Básica" (basis Schulbildung) reichte nun bis zur zehnten Klasse, was bedeutet, dass ein Universitätszugang für die Schulbesucher noch immer nicht möglich war und voraus genommen: noch oft nicht möglich ist. In meinem Geburtsjahr - 1998 - wurden dann weitere Schulklassen adaptiert, die "Cursos de Bachillerato" (in etwa zu vergleichen mit Abiturkursen).

Eine der beiden politischen Organisationskollektive der Shuar, genannt "Nashe", welche für die im Umkreis lebenden Shuar zuständig ist, bemerkte jedoch, dass sich die Lebensbedingungen der Shuar immer noch nicht verbessert hätten. Anwälte wurden benötigt um die Rechte der Shuar zu vertreten, doch aus Geldmangel konnten diese Anwälte schwerlich aus den Städten geholt werden, Anwälte der Shuar-Nationalität gab es nicht. Zudem sollte der Lebensraum der Shuar vor räuberischer Landwirtschaft, wie sie zum Beispiel internationale Fast Food Ketten betreiben, beschützt werden, Auf lange Sicht sollten Kaffee und Kakao angebaut werden, durch deren Verkauf die ökonomische Situation verbessert werden sollte. Jedoch fehlte - wie zu Beginn bereits erwähnt - das Fachwissen.

Mit der Schaffung der drei Bachilleratokursen 1998 wurden also technische Schwerpunkte gelegt, in den unter anderem auch landwirtschaftliche Fertigkeiten  vermittelt werden sollen. Im Zuge dessen besitzt die heute UECIBAS genannte Schule ein eigenes Schulfeld. Ca. 5 Schuljahre später wurde neben dem technischen auch ein sozialer Schwerpunkt gelegt. 

Der zweite Teil des Blogeintrages soll bald folgen und über gegenwärtige Pobleme und zukünftige Herausforderungen berichten.