Unterwegs in Richtung Dschungel

Nun ist es praktisch soweit: In zweieinhalb Stunden wird Miguel uns - die verbliebenen 5 Freiwilligen, die sich noch nicht auf dem Weg in ihre Projekte befinden - zu einem Busbahnhof in Quito führen. Von dort aus werden wir in unsere Projekte reisen und der wirkliche Freiwilligendienst beginnt. Doch fange ich von vorne an.

Freunde wurden auf einer ausladenden Abschiedsfeier am Freitagabend vor der Abreise verabschiedet, Samstags wurden Koffer und Rucksack fertig gepackt und Mannschaft, sowie einige Verwandte verabschiedet. Dass ich in wenigen Stunden, der kommenden Nacht, die heimischen Gefilde für genau ein Jahr verlassen sollte, konnte ich noch nicht wirklich realisieren, was das Ganze etwas surreal machte. Die Realität trat dann aber doch am Sonntag morgen ein: Um 6:20 startete unser Flieger gen Amsterdam, von wo aus der Atlantik überquert und wir nach Quito gebracht wurden. Unser beschauliches Hostel im historischen Zentrum Quitos erlaubte es, sich von dem Jetlag durch die 7-stündige Zeitverschiebung zu erholen und die ungewohnte Höhe zu verdauen. Durch diese stellte sich also nicht nur der Blick von der Dachterasse des Hostels, sondern auch die Treppen, die zu dieser führten, als atemberaubend heraus. 

Die kommenden vier Tage sollten sich immer ähnlich gestalten, stets begleitet von Miguel, dem enthusiastischem Projektkoordinator unserer Partnerorganisation vor Ort, in Quito. Bei der allmorgendlichen "Orientierung" klärte uns Miguel über unsere Rolle als Freiwillige in den verschiedenen Projekten auf, stellte die Projekte selber vor und beantwortete alle aufkommenden Fragen. 

Nach dem theoretischen - jedoch nicht minder interessanten Teil - verschlug es uns zur Mittagszeit in ein vegetarisches Restaurant/ eine kulturelle Begegnungstätte, bei der wir die Auswahl zwischen köstlicher Pasta und prägnant gewürztem Reis hatten.  Generell empfing uns Quito mit einer Unzahl an fremden Gerüchen, Geschmäckern und Zubereitungsformen. Dies wurde besonders deutlich, als wir einen Markt besuchten, bei dem wir Früchte/ Säfte probierten, die mir und den anderen Freiwilligen völlig fremd waren.  Sicher ist jedoch, dass Ecuador neben seiner geografischen Vielfalt (Küste, Anden und Regenwald in einem Land) und seiner ethnischen Vielfalt (24 indigene Kulturen sind über ganz Ecuador verteilt), kulinarisch eine Menge zu bieten hat.

Gesättigt von den ungewohnt großen Portionen, besuchte ich nach dem "almuerzo" den spanisch Unterricht bei Andres. Die Kursteilnahme war freiwillig und der Kurs eher für Spanischneulinge geeignet, weshalb ich der spanischen Sprache betreffend nicht besonders viel Neues lernen konnte. Nach kurzer Zeit stellte sich jedoch heraus, dass der eher ruhig wirkende Andres eine Menge zu erzählen hatte. Drei Jahre durchreiste dieser den südamerikanischen Kontinent mit geringem Budget, auf seinem Fahrrad (!). Europa schien ihn auch zu interessieren, seine geografischen Kenntnisse über die Landmasse Europas hätten nicht alle aus unserem Kurs ausweisen können, dennoch kann Andres aus visatechnischen Gründen Europa wohl vorerst nicht bereisen. 

Das Privileg in Deutschland geboren zu sein verspürte ich auch an anderen Stellen, wenn zum Beispiel Kinder, die sich in Deutschland noch nicht im Grundschulalter befinden würden, die Schuhe von Touristen für wenige Cents putzen wollen, stimmt dies nachdenklich.

Zudem kamen wir in der Einführungswoche in Quito auch mit der ecuadorianischen/ südamerikanischen Kultur mehrfach in Berührung. So zum Beispiel bei der Besichtigung eines Museum über indigene Kultur, durch das uns Miguel leitete und praktisch nebenbei traditionelle Instrumente vorspielte. So auch, als wir eine Demonstration mit überwiegend weiblichen Teilnehmern beobachteten. Diese plädierten (sofern wir die Sachlage nicht grundlegend falsch gedeutet haben) für die Aufklärung der "Desaparecidos" (=die Verschwundenen). Dabei geht es um Menschen, die bei den Militärdiktaturen Südamerikas bis in die 90er Jahre spurlos "verschwunden" sind. Dabei handelte es sich um Regimekritiker, Oppositionelle oder Sympathisanten, die oftmals interniert, gefoltert und ermordet wurden. Wie viele Desaparecidos tatsächlich ums Leben gekommen sind, weiß wohl keiner so genau, ebenso wenig, wie viele Kinder der Entführten bei Militärs der Regime aufgewachsen sind/ noch heute leben.

Doch neben all diesen Erfahrungen, die nur in wenigen Tagen Aufenthalt gesammelt wurden, hatten wir (die 12 Freiwilligen, die mit KulturLife Ecuador bereisen) auch eine Menge Spaß. Nach den Spanischstunden wurde die Stadt besichtigt, Salsaunterricht bei Miguel genommen oder einfach entspannt. Abends fanden wir uns auf der Dachterasse unseres Hostels ein, setzten die erlernten Tanzkenntnisse (mehr oder weniger) gekonnt auf der Tanzfläche einer Salsa-Bar um und feierten sogar einmal in einer Discothek Quitos. Neben der wirklich gut harmonierenden Gruppen bereitete auch der Kontakt mit Einheimischen immer wieder Freude. So kann es vorkommen, dass kostenlose Essensproben angeboten werden oder Bücherverkäufer die spanische Grammatik darlegen, eine unerwartete Offenheit und Gastfreundschaft kam mir und den anderen auch immer wieder zuvor.

Nun ist es noch praktischer soweit: In jetzt nur noch zwei Stunden wird uns Miguel abholen. 

 

Der Dschungel kann kommen! 

 

Lichtspiel, Ausblick von der Dachterasse
Lichtspiel, Ausblick von der Dachterasse